Die Mukopolysaccharidose (MPS) VI, die auch als Maroteaux-Lamy-Syndrom bezeichnet wird, ist eine folgenschwere, progressive und heterogene Erkrankung mit schweren Pathologien, die mehrere Organe beeinträchtigen. Sie entsteht aufgrund mangelnder Aktivität der Arylsulfatase B (ASB), des Enzyms, das die Glykosaminoglykane (GAG) Dermatansulfat und Chondroitinsulfat abbaut.1,2
Obwohl MPS VI eine große Vielzahl phänotypischer Formen aufweist1,2, wird die Krankheitsprogression bei Patienten häufig als rasch oder langsam bezeichnet.
Unabhängig von der Progressionsrate kann eine unbehandelte MPS VI über Jahre hinweg fortschreiten und folgende Probleme verursachen:3
MPS VI ist eine klinisch heterogene Erkrankung, die bei Patienten entweder bereits im ersten Lebensjahr ausgeprägt auftreten kann oder während eines langsamen Krankheitsverlaufs erst nach und nach zu Symptomen führt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Symptome der MPS VI im Laufe der Zeit kontinuierlich zunehmen, d. h. für die Progressionszuordnung können keine fixen Parameter herangezogen werden.1,2
Die schnell fortschreitende Form der MPS VI, die in der Querschnittsstudie von Swiedler et al. als GAG-Harnspiegel (uGAG) von mehr als 200 µg/mg definiert wurde,3 kann sich bereits im ersten Lebensjahr in unspezifischen Symptomen äußern. Im zweiten und dritten Lebensjahr erscheinen die charakteristischen Merkmale, darunter:1,2,5
Die langsam fortschreitende Form der MPS VI, definiert als uGAG-Spiegel von bis zu 200 µg/mg, tritt möglicherweise nicht deutlich in Erscheinung, wodurch die Diagnose verzögert und erst zu einem späteren Zeitpunkt gestellt wird. Dessen ungeachtet entwickelt sich bei den Patienten eine signifikante Morbidität, die lebensverkürzend und lebensbedrohlich sein kann. Weder die rasch noch die langsam fortschreitende Form der MPS VI ruft in der Regel neurokognitive Defizite hervor, obwohl physische Einschränkungen das Lernen und die Entwicklung der Patienten beeinträchtigen können.3
In der nachstehenden Tabelle sind die Komplikationen bei MPS VI nach Organsystem aufgeführt. Die mit MPS VI verbundenen klinischen Manifestationen sind heterogen; bei allen Patienten kommt es jedoch zu einer Krankheitsprogression.
Patienten mit MPS VI haben deutlich geringere Wachstumsraten als nicht erkrankte, gleichaltrige Personen. Da das abweichende Wachstumsverhalten von Patienten mit MPS VI ein Anzeichen sekundärer Probleme darstellen kann, sollte eine klinische Untersuchung hinsichtlich Mangelernährung, endokriner Abweichungen oder psychosozialer Deprivation durchgeführt werden.
MPS VI ist eine klinisch heterogene Erkrankung mit einer Reihe an Erscheinungsbildern, die zu verschiedenen Zeitpunkten erstmalig auftreten und unterschiedliche Progressionsraten aufweisen.2 In der nachfolgenden Abbildung ist die große Spannweite zwischen einem Patienten mit rascher Progression und einem Patienten mit langsamer Progression dargestellt. Der Patient mit rasch fortschreitender MPS VI zeigt zahlreiche charakteristische phänotypische Merkmale dieser Erkrankung.
Eine Differenzierung in eine rasche und langsame Krankheitsprogression ist nur in Ausnahmefällen möglich. Unbehandelt beeinträchtigt die Krankheitsprogression das körperliche und funktionale Wohlbefinden und führt zu einer deutlich verringerten Lebenserwartung.4
Ungeachtet des Phänotyps schreitet die Krankheit bei den Betroffenen im Laufe der Zeit fort und führt schließlich zu Folgendem:4
Die Todesursachen bei Patienten mit MPS VI sind überwiegend Infektionen, Komplikationen bei Operationen oder kardiopulmonale Erkrankungen.4
MPS VI ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die durch einen Mangel des Enzyms N-Acetylgalactosamin‑4-Sulfatase (auch als ASB bezeichnet) verursacht wird. Der Enzymmangel führt zu einer Anreicherung des GAG Dermatansulfat in den Lysosomen zahlreicher Gewebe.13,14
Es wurde keine ethnische Zugehörigkeit identifiziert, die mit einem erhöhten Risiko einer MPS VI verbunden ist, es wurde aber über das gehäufte Auftreten bestimmter Mutationen berichtet. Es gibt eine häufig vorkommende Mutation (1533del23), die bei 23 % der Allele brasilianischer Patienten mit MPS VI auftritt. Darüber hinaus zeigte eine Studie eine hohe Geburtsprävalenz von MPS VI in der in Deutschland lebenden türkischstämmigen Population im Vergleich zur nicht-türkischstämmigen Population in Deutschland.2
Die Behandlung der MPS VI hat sich im Verlauf der vergangenen Dekade ebenso weiterentwickelt wie der Kenntnisstand der Ärzte, etwa was Variabilität des Phänotyps und Progression betrifft. Andere Faktoren wie etwa das Erreichen des Erwachsenenalters von Patienten stellen neue Forschungsgebiete, Erkenntnisse und Aussichten für die Behandlung dar.
Da die MPS VI multiple Körpersysteme beeinträchtigt, spielt die Behandlung einer Vielzahl von Krankheitsmanifestationen im Rahmen der integrierten Versorgung eine wesentliche Rolle. Die Behandlung sollte die Anwendung adaptiver oder unterstützender Geräte, Physio- und Ergotherapie, symptomorientierte Arzneimittelgabe, chirurgische Eingriffe und Verabreichung der fehlenden Enzyme umfassen.4
Die im Jahr 2007 veröffentlichten „Management Guidelines for Mucopolysaccharidosis‟ enthalten fachübergreifende Empfehlungen zur Behandlung von Patienten mit MPS VI. Hier wird als Behandlungsoption für Patienten mit MPS VI das Erwägen einer Enzymersatztherapie (EET) empfohlen.4
Zusätzlich zur eventuellen Einleitung einer EET empfehlen die Leitlinien systemspezifische Behandlungsstrategien bei Symptomen aufgrund der GAG-Anreicherung.4
Eine lebenslange Behandlung und chirurgische Versorgung durch ein multidisziplinäres koordiniertes Versorgungsteam sind unerlässlich, um die Patientenergebnisse zu optimieren.14,15 Patienten mit MPS VI müssen frühzeitig und regelmäßig untersucht werden, um die Krankheitsprogression in mehreren Organsystemen zu bewerten und potentielle Krankheitskomplikationen zu erkennen und zu behandeln.4 In der nachstehenden Tabelle sind die gemäß den Leitlinien von 2007 empfohlenen Untersuchungsintervalle bei Patienten mit MPS VI aufgeführt.
Patienten mit MPS VI benötigen oft chirurgische Eingriffe zur Behebung multisystemischer Komplikationen der Krankheit. Diese chirurgische Versorgung ist aufgrund der Art der Krankheit kompliziert.15
Patienten mit MPS VI weisen mehrere Faktoren auf, die das Risiko eines chirurgischen Eingriffs gravierend erhöhen können und eine Überwachung erfordern, darunter:15
Diese Faktoren erschweren die chirurgische und anästhetische Versorgung, machen eine Vorausplanung erforderlich und setzen den Einsatz krankheitsspezifischer Techniken voraus, um optimale Behandlungsergebnisse zu erzielen.16
Spezielle perioperative Maßnahmen während der Anästhesie, wie etwa Intubation und Extubation, und eine Überwachung mittels intraoperativem Neuromonitoring sind für erfolgreiche chirurgische Eingriffe unerlässlich. Für positive und dauerhafte Behandlungsergebnisse ist ein kombiniertes chirurgisches Team von MPS-VI-Spezialisten entscheidend.15,16
Wenn Patienten mit MPS VI das Erwachsenenalter erreichen, wird sich ihr Verhältnis zu ihren Behandlern verändern. Für einen reibungslosen Übergang sind individuelle Konzepte erforderlich, um Unterbrechungen der Behandlung zu minimieren, Unterstützung jenseits pädiatrischer Betreuung und elterlichem Beistand zu gewährleisten und um sicherzustellen, dass erwachsene Patienten über die Behandlung der MPS VI gut informiert sind.17
Diese Übergangskonzepte sollten auf die jeweiligen Bedürfnisse eines jeden Patienten zugeschnitten werden, damit allen, die sich selbstständig um ihre Behandlung kümmern möchten, die erforderlichen Hilfsmittel zu Verfügung stehen, während denjenigen, die Unterstützung benötigen, die entsprechende Betreuung und die dafür benötigten Dienstleistungen angeboten werden können. Im Rahmen eines solchen Konzepts sollte auch bewertet werden, wie wahrscheinlich es ist, dass die Patienten die gesetzten Ziele erreichen und ob sie ausreichend in der Lage sind, Angaben zu ihrem Zustand zu machen.17
Verweise: 1. Thümler A et al. Clinical characteristics of adults with slowly progressing mucopolysaccharidosis VI: a case series. J Inherit Metab Dis 2012;35(6):1071-1079. 2. Valayannopoulos V et al. Mucopolysaccharidosis VI. Orphanet J Rare Dis 2010;5:5. . 3. Swiedler SJ et al. Threshold effect of urinary glycosaminoglycans and the walk test as indicators of disease progression in a survey of subjects with mucopolysaccharidosis VI (Maroteaux–Lamy syndrome). Am J Med Genet A 2005;134A(2):144-150. 4. Giugliani R et al. Management guidelines for mucopolysaccharidosis VI. Pediatrics 2007;120:405-418. 5. Muhlebach MS et al. Respiratory manifestations in mucopolysaccharidoses. Paediatr Respir Rev 2011;12(2):133-138. 6. Lin H-Y et al. Polysomnographic characteristics in patients with mucopolysaccharidoses. Pediatr Pulmonol. 2010;45(12):1205-1212. 7. Kampmann Cet al. Mucopolysaccharidosis VI: cardiac involvement and the impact of enzyme replacement therapy. J Inherit Metab Dis 2014;37(2):269-276. 8. Willoughby CE et al. Anatomy and physiology of the human eye: effects of mucopolysaccharidoses disease on structure and function — a review. Clin Exper Ophthalmol. 2010;38(suppl 1):2-11. 9. Ganesh A et al. An update on ocular involvement in mucopolysaccharidoses. Curr Opin Ophthalmol 2013;24(5):379-388. 10. Kantaputra PN et al. Oral manifestations of 17 patients affected with mucopolysaccharidosis type VI. J Inherit Metab Dis 2014;37(2):263-268. 11.National Institute of Neurological Disorders and Stroke Mucopolysaccharidoses Fact Sheet. http://www.ninds.nih.gov/disorders/mucopolysaccharidoses/detail_mucopolysaccharidoses.htm. Accessed November 2016. 12. Data on file. BioMarin Pharmaceutical Inc. 13. NAGLAZYME [package insert]. Novato, CA: BioMarin Pharmaceutical Inc; 2013. 14. Giugliani R et al. Natural history and galsulfase treatment in mucopolysaccharidosis VI (MPS VI, Maroteaux-Lamy syndrome) — 10-year follow-up of patients who previously participated in an MPS VI Survey Study. Am J Med Genet A 2014;164A(8):1953-1964. 15. Walker R et al. Anaesthesia and airway management in mucopolysaccharidosis. J Inherit Metab Dis 2013;36(2):211-219. 16. Vitale MG et al. Delphi Consensus Report: Best practices in intraoperative neuromonitoring in spine deformity surgery: development of an intraoperative checklist to optimize response. Spine Deformity. 2014;2(5):333-339. 17. American Academy of Pediatrics, American Academy of Family Physicians, American College of Physicians, Transitions Clinical Report Authoring Group, Cooley WC, Sagerman PJ. Supporting the health care transition from adolescence to adulthood in the medical home. Pediatrics 2011;128(1):182-200.